PINGUIN FLUGSCHAU

Foto© by Erik Hennemann

Auf Rachuts Spuren

Vor acht Jahren suchte Gitarrist Henrik Gersmeier aus Köln eine Band, mit der er seine eigenen Songs spielen kann. Er fand sie in PINGUIN FLUGSCHAU – und nun wurden genau diese Songs auf Platte gebannt. Henrik spricht gemeinsam mit Sänger Marc Cechura und Bassist Frank Borchers über „Pinguin Flugschau“, über die Definition des Begriffes „aufwändig“, über TURBOSTAAT sowie über den Grund, warum sich die Menschen häufiger mal gegenseitig zuhören sollten.

Ihr habt 2023 auf Dackelton euer Debütalbum veröffentlicht. Und das hier ist euer Debüt in diesem Heft. Also spulen wir mal kurz zurück: Wie kamen PINGUIN FLUGSCHAU zusammen?

Marc: Henrik hatte so gut wie alle Songs, die nun auf unserer ersten Platte sind, schon geschrieben – und seinerzeit Leute gesucht, um sie auch spielen zu können. So kamen wir letztlich zusammen. Es gab 2015 das erste Konzert. Danach einige Besetzungswechsel. Frank kam von den SHITLERS dazu. Und die jetzige Konstellation von PINGUIN FLUGSCHAU steht nun seit 2018.

Was gleich die nächste Frage ergibt: Ihr existiert seit 2015. Das sind acht Jahre. Warum kam euer Debütalbum erst jetzt?
Henrik: Etwas wie dieses Album in dieser Qualität zu machen, es richtig gut aufzunehmen, bedarf ja auch einer gewissen Vorbereitung und Organisation. Man muss für alles die richtigen Leute finden. Insofern hat das alles gedauert.
Marc: Wir hatten zudem ja schon in Eigenregie eine EP rausgebracht. Mit der konnten wir auftreten, weshalb der Druck für uns letztlich nicht so riesengroß gewesen ist, das Album unbedingt als Schnellschuss rauszuhauen. Wir mussten es ja auch noch diskutieren. Ich musste bei einigen Songs erst aufbegehren, ehe sie auf die Platte kamen.

Oha. Das musst du bitte erklären.
Marc: Na, es ging darum, wie die Lieder arrangiert werden. Ich als Sänger mache streckenweise Text- beziehungsweise Änderungsvorschläge, wenn Henrik mit den Stücken ankommt. Und dann wird es mitunter aufwändiger. Weißt du, Frank ist im Gegensatz zu mir immer eher praktisch veranlagt. Er macht stets schön all das, was er soll – und freut sich. Ich habe manchmal aber eben selbst ein paar Ideen – und die kommen nicht immer gut an, haha.

Das Wort „aufwändig“ ist im Zweifelsfall genauso relativ in seiner Bedeutung, wie es etwa das Wort „zeitnah“ meist ist. Was also bedeutet es in eurem Kontext?
Marc: „Aufwändig“ heißt in unserem Falle so etwas wie: „arbeitsintensiv“. Also man muss erst mal darüber reden. Dann muss man sich austauschen. Und dann muss man auch noch ein bisschen diskutieren – und manchmal sogar noch mal etwas länger darüber nachdenken und womöglich auch mal drüber schlafen. Aber ich denke, dass wir uns eigentlich in den meisten Fällen bislang sehr gut einigen konnten. Denn wir haben bei PINGUIN FLUGSCHAU eine sehr gute Kommunikations- und Gesprächskultur. Es gibt kein böses Blut. Es passiert am Ende alles einvernehmlich und es gibt immer irgendwie einen Konsens.
Henrik: Ich würde sogar sagen, all das ist bei anderen Bands schwieriger als bei uns.

Was bei euch besonders interessant ist: Ein Songschreiber und Gitarrist sucht eine Band für seine quasi-fertigen Lieder. Das ist ein nicht alltägliches Modell der Bandgründung ...
Henrik: Ich hatte vorher mit PINKELPAUSE und PONTIFEX zwei kleinere Bands, an denen wirklich mein Herz hing. Aber ich merkte eben irgendwann auch, dass das zu Ende ging, ich aber nicht bereit war aufzuhören. Ich wollte immer weiter machen. Denn ich will in einer Band spielen! Ich möchte den Scheinwerfer im Rücken spüren, wenn ich Musik mache – und nicht vor dem Computer sitzen. Und dafür brauchte ich eben Leute, die ich nun gefunden habe. Leute, mit denen ich auch im fortgeschrittenen Alter eine Band gründen konnte.

Ihr als PINGUIN FLUGSCHAU habt sogar noch mehr gefunden: ein Label.
Frank: Ja. Wir hatten 2017 als Vorgruppe von Männi gespielt, der auch bei Dackelton unter Vertrag steht. Nach dem Konzert kam Labelchefin Bianca zu uns und sagte: „Wenn ihr mal was aufnehmen wollt, dann sagt mir Bescheid. Dann kann ich das vielleicht mit euch machen.“ Und genau so sollte es ja auch im besten Falle sein, man trifft sich, man ist sich irgendwie sympathisch und findet die Musik des anderen gut. Warum sollte man dann nicht gemeinsam etwas auf die Beine stellen?

Was bei den Songs auf dem Album auffällt, allen voran vielleicht bei der Single „Weil jeder seine Gründe hat“: Die Texte sind laut eurer Aussage zwar schon vor Jahren entstanden, aber dennoch extrem aktuell, wenn man sich die Lage der Welt anschaut. Zufall oder damals schon Kalkül?
Henrik: Kein Zufall. Ich finde es einfach schön, wenn man etwas schafft, ein Album zum Beispiel, das auch über die Zeit hinaus wichtig bleibt. Diese Songs sind schon so angelegt, dass sie eben nicht nur für ein halbes Jahr Gültigkeit haben. Das war mir durchaus wichtig. Ein Stück wie das von dir angesprochene „Gründe“ hat natürlich einerseits diese frustrierende Aussage, dass wir uns auf dieser Welt nicht wirklich gut darauf einigen können, was uns allen wirklich wichtig ist. Das sieht man ja derzeit auch wieder, Stichwort: Klimakonferenz. Da findet jeder einen Grund, nicht auf den anderen einzugehen. Andererseits sollten wir uns aber auch gegenseitig einfach besser zuhören, damit wir die Argumente des jeweils anderen womöglich besser verstehen. Das ist ein bisschen wie bei DEPECHE MODE. So „Walking in my shoes“-mäßig: Es läuft nicht so, wie wir es wollen, weil jeder seine Gründe hat – aber vielleicht hören wir uns diese anderen Gründe erst mal an, bevor wir selbst losquatschen.

Dieses Zuhören kann aber auch an Grenzen stoßen ...
Henrik: Es bedeutet ja nicht, dass man Argumenten, die jemand anders vorbringt, auch folgen muss. Ich kann mir Argumente anhören – und dann trotzdem zum Schluss kommen: Das sind nicht meine Argumente. Die finde ich falsch. Ich habe das, was du sagst, zwar wahrgenommen. Aber so denke ich nicht.
Marc: Dieser Song und seine Aussage steht übrigens stellvertretend für einige der Gründe, warum ich in der Band mitmachen wollte: Mich haben Henriks Texte sofort interessiert! Ich mag sie vielleicht nicht alle sofort verstanden haben. Aber es war sofort klar, dass es nicht um „Bier, Saufen, Bullenschweine“ geht – darauf hätte ich keinen Bock gehabt. Und dass nicht alles so kryptisch ist wie bei TURBOSTAAT – worauf ich auch nicht so die Lust gehabt hätte. Henriks Texte sind nicht plump, aber sie sind auch nicht derart verkopft, dass man erst mal eine Masterarbeit darüber schreiben muss.
Henrik: Wobei,Vorsicht: Nicht jeder Song hat auch wirklich einen Inhalt! Auf der Platte gibt es auch Quatschsongs. So was wie „Zahnfleisch vegan“ kann man auch einfach brüllen, ohne sich etwas Großes dabei zu denken.

Henrik, wie entstehen deine Songs, spontan oder über einen längeren Zeitraum?
Henrik: Das ist sehr verschieden. Es gibt Stücke wie etwa „Zahnfleisch vegan“, die ich in einer Stunde runterschreibe. Da ist man dann in einem Flow. An manchen Songs wiederum sitze ich Wochen, bis sie so sind, wie sie sein sollen. Und manchmal ist auch erst die Musik da, vor dem Text.

Bist du einer jener Songschreiber, die täglich zig Gedanken und Ideen ins eigene Mobiltelefon sprechen, bis irgendwann der Überblick flöten geht? David von KMPFSPRT und HAMMERHEAD sagte mir mal, dass das bei ihm so sei ...
Henrik: Nein, ich habe aber eine sehr lange Liste, ein sehr langes Word-Dokument, in dem alle möglichen Sachen stehen, die ich irgendwann einmal in Songs einbauen will: gute Redewendungen, gute Aussagen, lustige Wörter. Dinge eben, die ich interessant finde. Ich denke da gerne an Jens Rachut oder Claus Lüer, die als Künstler einen viel, viel größeren Wortschatz haben als andere.

Ihr erwähntet gerade TURBOSTAAT. Das passt. Was ich beim Durchhören eurer Platte nämlich sofort dachte, war: Danke! Weil man heutzutage ja froh über jede Punkband aus Deutschland ist, deren Debütalbum sich nicht nach TURBOSTAAT-, LOVE A-, Post-Punk-Epigone anhört.
Henrik: Ich finde Bands wie TURBOSTAAT oder MUFF POTTER textlich schon ganz toll. Aber musikalisch fand ich für unsere Band eben andere Einflüsse besser – Einflüsse, nicht Vergleiche – wie NOFX oder die frühen PROPAGHANDI.
Marc: Ich würde schon sagen, dass wir auch Post-Punk-Elemente in unseren Songs haben. Nur sind die in den Stücken so ein bisschen versteckt. Das sind kleine Gitarrenmelodien oder disharmonische Akkorde, die vielleicht nicht jedem auffallen. Aber das ist ja auch nicht schlimm. Es geht ja schließlich nicht ums Kopieren. Kopieren ist nicht so spannend.